Vorgeschichte. Schwieriger noch als in anderen Großstädten, etwa Köln oder Düsseldorf, ist es für Künstler in Stuttgart, geeignete Arbeitsräume zu finden. Hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg eine ganze Anzahl von Atelierhäusern gegeben, so waren die meisten von ihnen nach der Zerstörung nicht wieder aufgebaut worden; einige der von Künstlern genutzten Gebäude in städtischem Besitz wurden Ende der Achtzigerjahre abgerissen oder anders genutzt, und außerdem sind geeignete Räume, wie ehemalige Werkstätten oder kleinere ausgediente Fabrikhallen, im Zuge der Verknappung bebaubarer Grundstücke (ein Problem, das in Stuttgart wegen der Topographie noch deutlicher spürbar ist als in anderen Städten) so gut wie nicht mehr vorhanden. So wird für Künstler die Frage, ob ein Arbeitsraum in gewünschter Qualität und zu akzeptablen Konditionen zur Verfügung steht, zu einem entscheidenden Faktor für die Wahl des Wohnorts. Förderprogramme wie in anderen Städten gibt es in Stuttgart nicht.
Der uns befreundete Bildhauer Jo Schöpfer sah sich 1988 bei der Rückkehr von seinem Stipendium an der Villa Massimo vor das Problem gestellt, geeignete Arbeitsräume zu finden. […] Nach wochenlanger vergeblicher Suche überlegten wir gemeinsam, angeregt von einem Atelier, das Pierre Chareau 1948 auf Long Island außerordentlich kostengünstig für Robert Motherwell gebaut hatte und das uns seiner architektonischen Qualität wegen immer sehr beeindruckt hatte, ob nicht Vergleichbares in Stuttgart möglich sein könnte. Mit einem zunächst unabhängig von einer konkreten Grundstückssituation erarbeiteten Vorschlag wandte sich Jo Schöpfer an Rolf Lehmann, den damaligen Wirtschaftsbürgermeister der Stadt Stuttgart. Er war zu dieser Zeit der geeignete Ansprechpartner in Sachen Kunst und Kultur, da die Stadt keinen Kulturbürgermeister besaß. […] Das Projekt stieß auf sein Interesse, mehrere Grundstücke wurden vorgeschlagen, von denen jedoch keines sich als geeignet erwies, da topographische oder planungsrechtliche Schwierigkeiten im Wege standen. Auch konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß innerhalb der Verwaltung das Vorhaben auf nicht eben viel Gegenliebe stieß. Wir beschlossen daher, uns selbst auf die Suche nach einem Grundstück zu machen und gleichzeitig das Projekt so auszuweiten, daß es in den Blickpunkt der kommunalen Kulturpolitik gerückt würde und also nicht mehr ohne weiteres von der Verwaltung blockiert werden könnte. Für das in städtischem Besitz befindliche Grundstück an der Reitzensteinstraße, das uns in jeglicher Hinsicht geeignet schien, entwarfen wir nun eine größere Gruppe von Künstlerateliers, alternierend als Halbtonnen und quaderförmige Gebäude.
An dem Tag, als Jo Schöpfer dem Bürgermeister Lehmann diesen Vorschlag unterbreitete, war dort auch eine Gruppe von Künstlern vorstellig geworden, die gemeinsam ein zum Abriß vorgesehenes städtisches Künstlerhaus nutzten. Auf diese Weise kamen die Beteiligten zusammen, der Not und dem Zufall gehorchend und alles andere als eine geschlossene Künstlergruppe.
Nun konnte ein konkreter, die unterschiedlichen Ansprüche der elf Bauherren berücksichtigender Entwurf ausgearbeitet werden. […] Jedes Atelier wurde genau nach der Arbeits- und Lebensweise des betreffenden Künstlers geplant – die Koordination war nicht immer einfach und stellte auch später bei der Ausführung vor einige Schwierigkeiten. […]
Gestaltung und Konzept. Bereits der erste Vorentwurf […] sah eine Reihe sich abwechselnder Halbtonnen und quaderförmiger Gebäude vor. Bei den Tonnen handelt es sich um vorgefertigte, wellblechgedeckte Stahlkonstruktionen, immer noch die mit Abstand günstigste Möglichkeit, ein Dach über den Kopf zu bekommen. Diese Nissenhütten erhielten großflächige, mit Stegdoppelplatten gedeckte Vorbauten in einfacher Holzkonstruktion; sie wurden teils in Eigenleistung, teils von Handwerkern wärmegedämmt und innen mit Sperrholzplatten oder Brettern verkleidet.
Die dominierende Form der Tonne, die dem Innenraum eine deutliche Richtung gibt, erfordert, was Materialwahl und Einbauten betrifft, einiges Fingerspitzengefühl. Nach unserer Überzeugung läßt sich dies nur auf befriedigende Weise schaffen, indem soweit als möglich mit dem Raum und der Konstruktion, die sich in diesem Fall weitgehend der Einflußnahme des Architekten entziehen, gearbeitet wird. Die Anzahl der möglichen Lösungen ist groß, die der sinnvollen allerdings gering, da es sich nicht zuletzt auch um das Problem handelt, wie das Kunstwerk, dessen Entstehung ja der eigentliche Zweck des Künstlerateliers ist, sich zu diesem Raum verhält. Wir entschieden uns deshalb für eine deutliche Trennung von Raum und Einbauten, wobei wir versuchten, diese Einbauten etwa im Sinne Rietvelds aus voneinander abgesetzten Flächen sozusagen kartesianisch zu organisieren und ihre Größe so zu halten, daß nicht eindeutig feststeht, ob es sich nun um eher möbelartige Einrichtung oder um Gebäudeteile handelt.
Das Gewölbe der Hülle sollte sich zu den Flächen in ihm so verhalten, wie ebendiese Flächen zu den auf ihnen befindlichen Kunstwerken. Durch diese strukturelle Ähnlichkeit mit dem gemeinsamen Faktor Wand würde, bei größtmöglicher Unabhängigkeit der Elemente, ein Ganzes entstehen, in dem das Kunstwerk nicht einem architektonischen Konzept untergeordnet wäre, sondern Teil einer umfassenden Konzeption blieb.
Geringere Probleme und mehr Möglichkeiten der Gestaltung ergaben sich bei den quaderförmigen Gebäuden. Die Außenwände sind aus Wärmedämmziegeln gemauert, beidseitig verputzt und mit einer simplen hölzernen gegrünten Dachkonstruktion gedeckt. Die Gebäudeöffnungen, die durch die Verwendung von Oberlichtern minimiert werden konnten, folgen den unterschiedlichen Organisationsformen des Innern. Einbauten sind zumeist aus Holz, die Innenwände mit Baufurnierplatten verkleidet. Wo es möglich war, haben wir versucht, die hierarchische Differenzierung in massive Hülle und leichte Einbauten konsequent durchzuhalten. Unsere wesentliche Aufgabe sahen wir darin, der jeweiligen künstlerischen Produktion nicht nur keine Hindernisse in den Weg zu legen, sondern sie, soweit durch den Architekten möglich, zu fördern und zu unterstützen.
Schlußbemerkung. Obwohl man von einem Erfolg des Experiments – das bereits als Stuttgarter Modell bezeichnet wird – sprechen kann, nicht zuletzt wiegen der Baukosten (einschl. Nebenkosten zwischen 300 und 400 DM je Quadratmeter), bin ich nicht allzu optimistisch, was die Chancen für weitere Vorhaben dieser Art betrifft. Die Ateliers verdanken ihr Gelingen letztendlich einer glücklichen Konstellation: zunächst der freundschaftlichen Beziehung des Initiators des Projekts, Jo Schöpfer, mit uns, den Architektin, sodann dem persönlichen Engagement des Bürgermeisters Rolf Lehmann, verbunden mit einem durch den beispiellosen Boom des Kunstmarkts gegen Ende der Achtzigerjahre erweckten Interesse der politisch Verantwortlichen an Kunst und Künstlern – das sich, wie mir scheint, in der Zwischenzeit wieder stark abgekühlt hat –, dem freundlichen Interesse, mit dem die beteiligten Behörden das Vorhaben schließlich unterstützten und nicht zuletzt der Tatsache, daß es gelungen war, ein Grundstück zu finden, dessen Bebauungsplan diese Nutzung zuließ, das jedoch für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben weitgehend unattraktiv war. Sollte es dennoch zu einer Wiederholung kommen, müßten die individuellen Einflußnahmemöglichkeiten im Interesse der Durchführbarkeit stärker eingeschränkt werden, was wiederum den Charakter des Ganzen verändern würde – ich denke, daß eben die hier ins Werk gesetzte Vielfalt, die Möglichkeit des präzisen Reagierens auf Person, Werk und Wünsche der Beteiligten und die sich hieraus ergebende Ästhetik der Diversifikation die eigentliche Qualität ausmacht.